Das war Utopie jetzt! 2014

Zum elften Mal war Utopie jetzt! Festival Neue Musik Ende Oktober in der Petrikirche zu Gast und reflektierte mit einer  Konzerttrias den Ausbruch der beiden Weltkriege vor 100 und 75 Jahren sowie den Mauerfall vor 25 Jahren. Drei geschichtliche Ereignisse, die bis heute deutliche Spuren in der Kunst und auch der Musik hinterlassen. Der WDR Rundfunkchor Köln war zu Gast, um das Festival am Freitag mit einem inhaltlich und musikalisch eindrucksvollen Konzert zu eröffnen. Unter der Leitung seines neuen Chefdirigenten Stefan Parkman spannte der Chor einen Bogen über 120 Jahre musikalischer Spiegelungen des Themas Krieg und Frieden mit Kompositionen von Brahms bis hin zu Uraufführung des WDR-Kompositionsauftrags von In Flanders Fields des Schweden Jan Sandström – eine bewegende Vertonung von Zeilen eines Soldaten, der an die Nachwelt appelliert, die Gefallenen nicht zu vergessen. Tagesschausprecher Jan Hofer bettete das Programm in eine beziehungsreiche Moderation aus zeitgeschichtlichen Ereignissen und passenden Stimmen von Zeitzeugen, deren Schilderungen die emotionale, erschütternde Seite des Krieges beleuchten und gleichzeitig zu Hoffnung aufrufen. Hinter der klanglichen Qualität des WDR-Chores brauchten sich aber auch die Ausführenden des Konzerts am Samstag nicht zu verstecken: Der Petri-Kammerchor unter der Leitung von Gijs Burger sowie der Kamerkoor Maastricht unter Ludo Claesen zogen das Publikum schon beim einleitenden In Flanders fields von Charles Ives in ihren Bann, dessen eindringlicher Appell eine Brücke zum Programm des Vorabends schlug. Mit Fredrik Zellers neuem Werk für Cello und Orgel kam der Kompositionsauftrag von Utopie jetzt! zur Uraufführung. Effektvoll war das audiovisuelle Stücks Mountain top des niederländischen Komponisten Jacob ter Veldhuis. Abgerundet wurde das Programm durch Werke von Kagel, Rihm und Messiaen: im schlicht-schön beleuchteten Kirchenraum Petri ein Klangerlebnis auf höchstem Niveau. Im Gedenken an die Ausbrüche beider Weltkriege und den Mauerfall  begann das Abschlusskonzert am Sonntag mit einem „großen Nichts“ – so der Titel des 1996 komponierten Werks Gran Nada des Zeitgenossen Manuel Hidalgo für die ungewöhnliche Besetzung Akkordeon und Streichorchester. Schon hier lässt das Akademische Orchester Freiburg, ein Studentenorchester, unter seinem hervorragenden Dirigenten Hannes Reich das Publikum staunen über solch homogene und farbige Klangqualität. Gegensätzlich und doch als Einheit empfindet man  Johann Sebastian Bachs Violin-Chaconne, hier in einer andächtig-schönen Fassung mit Choralstimmen aufgeführt, sowie Lucianio Berios O King für Sopran und fünf Instrumente. Die Klimax des Abends fand mit Karl Amadeus Hartmanns Concerto funèbre von 1939 seinen Schluss- und Höhepunkt: im Spiel des Violinsolisten Christian Ostertag und des Freiburger Orchesters wurden der aussichtslose und gleichzeitig zuversichtliche Grundcharakter des Werks als Spiegel jener Kriegszeit hör- und spürbar.

Isabel Fedrizzi